Das WordPress Drama und seine Folgen für das WP-Ökosystem und Open-Source
Was sie direkt wissen sollten
Worum geht der Streit zwischen Automattic und WP Engine?
Vordergründig um Markenrechtsverletzungen. Im Kern aber wahrscheinlich darum einen unliebsamen Wettbewerber auszubremsen und um mehr Geld aus dem Ökosystem zu ziehen.
Kann und soll ich WordPress weiterhin als CMS nutzen?
Ja, für bestehende Seiten und Kunden ändert sind nichts. Für den Einsatz von WP in neue Projekten sehe ich auch noch keine Gefahren.
Kann ich WooCommerce weiterhin als Shopsystem nutzen?
Ja, für bestehende Installationen ändert sich nichts. Auch für neue Shops ist WooCommerce eine gute Option.
Für SEO, bzw. Online Marketing, hat es auch (noch) keine Konsequenzen.
Meine persönliche Prognose, Stand 14.10. :
- Matt Mullenweg(MM) wird entmachtet
- Die WordPress-Governance wird umstrukturiert
- Alle werden mit dem Schrecken und hohen Anwaltskosten davonkommen
Was bisher geschah
Disclaimer: Stark komprimiert, unvollständig und möglicherweise im Detail falsch. Ich gehe auch nicht im Einzelnen auf das zweifelhafte Verhalten einiger Akteure ein.
Der Ausgangspunkt des Dramas kurz erklärt: Matt Mullenweg ist der „Erfinder“ und Hauptentwickler von WordPress. Er hat alle Rechte an der Marke „WordPress“ an die gemeinnützige (non-profit) WordPress Foundation übertragen. Matt Mullenweg ist zudem mit weiteren Investoren einer der Eigentümer der Firma Automattic, deren Geschäftsmodell das Hosting von WordPress ist. Die WordPress-Stiftung wiederum räumt der Firma Automattic ein dauerhaftes und umfassendes Recht zur Nutzung und Weitervermarktung der Markenrechte ein. Außerdem betreibt er (als Person?) die Seite wordpress.org, die unter anderem das Plugin-Repo betreibt und anbietet. Wenn es also um WordPress geht, führen alle Wege zu Matt Mullenweg. Kaum eine Entscheidung wird ohne oder gar gegen Ihn fallen können. Inwieweit aber diese Konstruktion zukunftsfähig, legal oder sinnvoll ist, werden im Zweifelsfall bald Gerichte klären.
Bisher war die Nutzung der Marke „WordPress“ stark reglementiert, man konnte aber problemlos „WP“ als Abkürzung in Domains oder Plugins verwenden. WP ist ein bekanntes Kürzel vieler Produkte und Leistungen im WordPress-Ökosystem.
Automattic will Lizenzgebühren von WP Engine
Mullenweg forderte nun den direkten Konkurrenten im Hosting-Geschäft, WP Engine (WPE), auf, mehr für die „Weiterentwicklung“ von WordPress als Open-Source-Plattform zu tun. WPE hat neben dem Hosting-Geschäft auch das Plugin Advanced Custom Fields (ACF) übernommen und als Freemium-Angebot weiterentwickelt. Die Basisversion dieses sehr umfangreichen und sehr nützlichen Plugins ist kostenlos, die Pro-Version kostet Geld.
Nachdem WP Engine der Aufforderung nicht weiter nachgekommen war, kam Matt zu der Erkenntnis, dass WP Engine mit dem Angebot von „WordPress Hosting“ das Trademark verletze und eine Lizenz benötige. Die Lizenzgebühr sollen 8% des Bruttoumsatzes (!) betragen und WP Engine müsse „alle Bücher offenlegen“. Diese Lizenzgebühr sei an Automattic zu zahlen, nicht an die gemeinnützige WordPress Foundation.
WPE lehnte diese Forderung verständlicherweise ab und verwies auf die Arbeit, die man der Community in Form dieses Plugins gebe. Nach einigen „ungewöhnlichen“ Aufforderungen (man könnte es auch Erpressungsversuch und üble Nachrede nennen) hat wordpress.org daraufhin den Zugriff der WP Engine Kunden auf die automatischen Updates und die Pluginsuche im Backend gesperrt. Diese laufen nämlich auf wordpress.org und nicht auf den Servern von Automattic.
WP Engine verklagt Automattic
WPE hat daraufhin eine Unterlassungs- und Feststellungsklage gegen MM und Automattic eingereicht mit dem Ziel zu klären, dass
- „WordPress Hosting“ keine Markenverletzung darstellt, da es von tausenden anderen verwendet wird und nie abgemahnt wurde
- Auch keine Verwechslungsgefahr mit WordPress selbst besteht
- Eine Verunglimpfung und Behinderung des Wettbewerbs vorliege und abzustellen sei
Automattic „stiehlt“ Advanced Custom Fields
Daraufhin kündigte MM zum einen an, die Kernfunktionalität der Advanced Custom Fields (ACF) in den WordPress-Kern zu ziehen. Eine unausgesprochene, aber deutliche Drohung, dass man im Zweifelsfall jedem Entwickler die Geschäftsgrundlage entziehen könne. Daraufhin wurde WPE der Zugang zu wordpress.org entzogen. Zufälligerweise fand Automattic dann auch noch „Sicherheitsprobleme“ im ACF.
Unter diesem Vorwand wurde dann am 11.10. (?) das gesamte Profil von ACF auf wordpress.org übernommen. Es wurde nicht der Code geforked und als das neue Secure Custom Fields von wordpress.org angeboten, sondern die alte URL wurde beibehalten, inkl. aller Commits, Bewertungen etc. Im Code wurden wohl nur die Copywrite-Namen von WPE ausgetauscht. Benutzer, die jetzt eine Version von ACF in einer WordPress-Installation haben, werden jetzt Secure Custom Fields durch das automatische oder manuelle Update erhalten.
Das ist auch der entscheidende Punkt an der ganzen Situation für das gesamte Open-Source-Ökosystem: Hier übernimmt der Marktplatz den Code und die Kundenbasis eines Plugin-Entwicklers.
Nach meinem laienhaften Rechtsverständnis ist eine solche „Enteignung“ nicht zulässig. Dass es sich hier um einen Monopolisten handelt, der damit direkte Konkurrenten schädigen will, dürfte auch im US-Recht nicht so einfach akzeptiert werden. Aber das kann sicher jemand mit mehr Sachverstand besser beleuchten und am Ende werden es die Gerichte entscheiden müssen.
Ausblick
Das war noch nicht der Tiefpunkt, die Schlammschlacht und die Nickligkeiten gehen weiter.
WordPress ist zu marktbeherrschend und zu viele Leute haben ein Interesse an einem großen und funktionierenden WP-Ökosystem. Ich vermute, dass man Herrn Mullenweg irgendwann zum (unfreiwilligen) Rücktritt verhelfen wird.
Die Governance von Foundation, wordpress.org, Matt Mullenweg und Automattic wird entflochten oder wir werden langfristig ein weiteres *Press haben. Ob und wie ein Fork dann tragbar ist, weiß auch niemand
Langfristig könnte es jedoch zu einem Fork und damit zu einer Fragmentierung der Plattform und damit zu einem insgesamt kleineren Ökosystem kommen. Die Folgen wären etwas höhere Risiken und Kosten, wenn es um die Wahl der Plattform oder die Weiter- oder Neuentwicklung von Plugins oder Features geht. Wenn es kein kompletter Fork sein sollte, so haben viele Anbieter ein starkes Interesse an einem wirklich neutralen Marktplatz, der ihnen nicht „die Kunden und den Code klaut forkt“.
Als Theme- und Plugin-Entwickler sollte man aber die Folgen der Plugin-Übernahme und mögliche Markenrechtsansprüche im Auge behalten, sollte dies passieren, wäre die eigene Kundenbasis nie sicher. Auch das wäre eine langfristig sehr negative Entwicklung für WordPress, bzw. die Open-Source Community als Ganzes.
Extrem große Seiten, die auf WordPress laufen, könnten in solchen Fällen einen Lock-in-Effekt und als Folge möglicherweise Unsichheit und zukünftige Wechselkosten spüren.
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